Eine tiefschwarze Fläche breitet sich vor uns aus. Wie ein Gewebe sind 221 Keramikplatten gelegt, haken sich gegenseitig unter. Sie zitieren die Webtechnik mit Kette und Schuss, die einfachste Form eines stabilen Zusammenhalts. Das plastische Bild mit seinen vielen kleinen Durchblicken wirkt wie die Makroaufnahme eines Stoffstücks. In jede Platte ist zusätzlich die Struktur von textilem Gewebe eingedruckt, die der Oberfläche einen seidigen Glanz verleiht. Diese feine Textur offenbart sich dem Betrachter erst in der Nähe.
Töpfern und Weben sind die ältesten Kulturtechniken der Menschheit. Sie sind im elementaren Sinne schöpferisch. Im lateinischen Wort für Gewebe – „textum“ – wird die Brücke zur Sprache – dem „Text“ – sichtbar. Wörter sind zu einem sinnhaltigen Gefüge verknüpft und damit Ausdruck kommunikativer Handlung. Kommunikation wiederum ist eine wesentliche Grundbedingung für Miteinander, Verständnis und Zusammenhalt.
Die für den Freisinger Dom neu arrangierte Form von „Schwarzbild“ erinnert uns an eine Ikone der klassischen Moderne: das „Schwarze Quadrat“ von Kazimir Malevich. Vor genau 110 Jahren präsentierte Malevich erstmals dieses radikal ungegenständliche, wenngleich nicht abstrakte Werk. Schon die ungewöhnliche Aufhängung an der höchsten Stelle der östlichen Raumecke mit leichter Neigung nach unten, verwies damals unverkennbar auf den seinerzeit traditionellen Platz der Hausikone, des orthodoxen Herrgottswinkels. Diese spirituelle Dimension äußert sich auch in Malevichs Worten: „Im Quadrat sehe ich, was die Menschen im Angesicht Gottes sahen.“
Alexander Heisig